«Der liegt da einfach im Vorgarten!»

Da ist dieser Stein, dieser eine Stein. Wenn ich mit dem Auto bei uns in die Einfahrt fahre; wenn ich den Wagen abstelle, wenn ich anfange, das Gepäck herauszuholen – dann liegt da ein nicht verpflasterter Stein. Der liegt da einfach im Vorgarten! Ist Ausdruck von Sorglosigkeit, eine kleine Stolperfalle. Aber dieser Stein ist mir ans Herz gewachsen! Er ist ein Symbol für ein Leben, das nicht in geordneten Bahnen läuft, er steht für ein Leben, in dem es Hindernisse gibt und Unordentlichkeit und Durcheinander. Dieser nicht eingefügte Stein, zum Leidwesen der Nachbarn, die womöglich denken: «Wie sieht das denn aus? Kann der den Weg nicht mal zu Ende pflastern?» Dieser Stein ist mir lieb, ist für mich Ausdruck meines Zuhauses, und gleichzeitig denke ich: «Eigentlich müsste man den mal einfügen» und: «Da ist er ja wieder! Dieser Stein …» Und ich begrüsse ihn.

Ist Heimat, wo ich Pflichten ohne Konsequenzen vernachlässigen kann?

Frank Keil

Geboren und aufgewachsen in Hamburg an der Elbe. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er als freier Kulturjournalist und Autor unterwegs. Diverse Texte und Strecken für den ERNST; ausserdem Mitbetreiber der Plattform www.maennerwege.de. Aktuell schreibt er an seinem autofiktionalen Romanprojekt „Ich weiss nichts über meine Familie, suche sie aber trotzdem“, für den er 2022/23 einen Literaturpreis der Stadt Hamburg erhielt. Ausserdem Bahnfahrer, Frühaufsteher, Kleingärtner und Mettbrötchen-Fan.