Land, Stadt, Blumen

Iris hat einen Mann und zwei Kinder. Sie haben ein Haus und der Mann hat eine Firma. Alles ist gut. Eine Zeit lang.

Dann lassen sie und ihr Mann sich scheiden. Die Firma geht in den Konkurs. Das Haus kommt in die Konkursmasse der Firma. Die Zinsen steigen. Der Mann kann das Finanzielle über die Firma abwickeln, Iris nicht. Die Bank kauft das Haus zu einem sehr günstigen Preis.

Iris hat kein Haus, zwei Kinder von vier und sechs Jahren, keinen Mann und 90’000 Franken Schulden. Nichts ist gut. Eine Zeit lang.

Iris muss arbeiten gehen, um die Schulden abzubezahlen. Sie zieht in das Haus ihrer Mutter, das ihrem Bruder überschrieben wurde. Der Vater ist tot. Die Schwägerin, die auch dort wohnt, freut sich nicht, dass Iris einzieht. Aber Iris braucht jemanden, der auf die Kinder aufpasst, wenn sie arbeiten geht, und zieht trotzdem ein.

Der ältere Sohn hat Mühe mit dem Umzug. Der Ortswechsel, der Schulwechsel, der fehlende Vater machen ihm zu schaffen. Er ist entwurzelt, fängt an zu klauen. Vorher kannte er alle Kinder, jetzt kennt er niemanden und ist überall der Neue. Beide Kinder nehmen zu. Der Vater zahlt lange keine Alimente.

Die Mutter und Iris verstehen sich zum Glück gut. Während Iris arbeitet, schaut die Mutter zu den Kindern und kocht für alle.

Langsam wird es besser. Der jüngere Sohn findet Anschluss, der grössere nach und nach auch. Iris schafft es, die Schulden abzubezahlen. Das Haus, in dem Iris aufgewachsen ist, wird auch das Zuhause ihrer Kinder.

Als der Vater der Kinder eine neue Freundin hat, die ihm verdeutlicht, wie hart das Leben als Alleinerziehende ohne Alimente ist, beginnt er Alimente zu zahlen. Iris atmet auf.

Heute wohnt Iris nicht mehr in ihrem Elternhaus, denn nach dem Tod der Mutter verkaufte der Bruder das Haus. Die Kinder sind da zum Glück schon erwachsen. Iris entschliesst sich, in die Stadt zu ziehen. Was ihr aus ihrem Elternhaus bleibt, ist ein Schrank, der dort auf dem Estrich stand, auf dem sie als Kind stundenlang spielte und die alten Sachen erkundete. Sie hat ihn ablaugen lassen, hat ihn lasiert und lagert nun ihre Wäsche darin. Es ist kein edler Schrank, nur Tanne, aber Iris mag ihn.

Was auch geblieben ist: Blumen. Vom Hochbalkon ihrer Genossenschaftswohnung in Winterthur schaut sie mit ihrem neuen Mann gerne ins Grüne, und im Sommer spriesst auf dem Balkon allerlei.

Als ihr ihr Sohn ein Foto seines neuen Balkons schickt, sagt sie ihm: «Jetzt fehlen nur noch die Blumen.» Auf dem nächsten Foto blüht und grünt es.

Es blüht bei Iris, 67, auch wenn sie zweimal ein Haus verloren hat

Anna Pieger

Geboren 1981 in München, studierte an der Universität Basel Kunstgeschichte und Philosophie. Ihr literarisches Schaffen umfasst Prosa und Lyrik sowie journalistische Beiträge für das Kulturmagazin ERNST. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel und ist als Co-Leiterin einer Sekundarschulbibliothek tätig.