«Ich bin nicht so ein Mensch-Mensch»

Suche ich eine Wohnung, schaue ich auf vier Dinge: Einen Balkon und eine Badewanne sollte sie haben, ruhig muss es dort sein und im Grünen. Vor zwei Jahren zog ich von einer Ein- in eine Zweizimmerwohnung. Eine grosse Herausforderung mit einem kleinen Budget. Zuvor lebte ich in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz in Oberwinterthur. So bin ich überhaupt hier gelandet. Ich mag das Leben in Wohnwagen, es ist, als hätte man ein kleines Hüsli. Auf dem Campingplatz war aber das Lebensgefühl eher eng. Du hast da gemeinsame Duschen und WCs, und da sind die Nachbarn. Einerseits lebst du mit offener Türe, hast dein Plätzli zum Sitzen vor dem Wagen. Aber so richtig frei und stimmig war das dort dann trotzdem nicht. Wenn du kein Zugpferd hast zum Weiterfahren, ist diese Freiheit sehr begrenzt. Ganz anders war die Zeit im Zirkuswagen. Das war schon ein richtiges Stück mehr Freiheit. Das ist aber schon lange her, jetzt machen wir richtig grosse Zeitsprünge. Ich fuhr mit einem Traktor, mit Kind und Hund in die Bretagne, den Zirkuswagen angehängt. Wir waren ein Jahr lang unterwegs, überwinterten in der Normandie. Im Zirkuswagen gibts ja einen Ofen. Frankreich hat spezielle Plätze für Vagabonds, für Reisende. Du kannst easy einen Platz finden, ohne Stress. Ein anderes Mal waren wir mit einem Bus unterwegs. Wir starteten im Zürcher Oberland und fuhren nach Marokko. Das war die volle Freiheit. Solange mein Sohn klein war, sind wir rumgezogen. Für mich hätte es ewig so weitergehen können. Nur er, ich und der Hund. Du kannst gehen, wohin du willst. Andere Menschen kennenlernen nach Bedarf. Wenn dir Menschen wieder zu viel sind, kannst du wieder in die Pampa rausfahren. Ja, man verlässt auch immer wieder Menschen, die man gerne mag. Aber meine kleine Familie war bei mir, das reichte mir. Ich bin nicht so ein Menschen-Mensch, der die Gruppe braucht. Dieses Unterwegssein – es muss in meinen Genen verankert sein.

Doch irgendwann musste mein Sohn in die Schule. Dann fuhren wir zurück in die Schweiz und suchten uns eine Wohnung. Mich hatte nie gestört, dass ich durch das Reisen nicht viel besass. Dinge bedeuten mir nicht viel, sind reine Materie, ein Kommen und Gehen. Da bin ich null emotional, so nostalgische Gefühle kenne ich nicht. Wenn unsere Zeit hier abgelaufen ist, können wir nichts mitnehmen. Es macht mir schon auch Freude, auf dem Flohmi ein paar schöne Dinge zu kaufen. Aber ich könnte jederzeit den Rucksack packen und alles hinter mir lassen. Mein einziges Handicap sind meine Bücher. Und meine Gitarre. Die nehme ich überall hin mit.

Ja, nun bin ich bereits seit einigen Jahren in der Stadt, das ist im Moment auch okay. Aber so langsam ruft mich die Pampa, das Landleben. Dieses Mal ohne Räder. Ich mag Veränderung, mag es, im Flow zu sein, ich brauche das einfach. Ich gehe leicht weg. Abgesehen von den Banalitäten wie Zügelstress, die Materie, die sich nun halt trotzdem angesammelt hat, einpacken und mitschleppen.  Vieles ist im Umbruch. Alles wird sich irgendwie ergeben. Work in progress.

Moni, 51 Jahre. Ein bewegtes Leben. Wortwörtlich.

Anita Zulauf

Anita wurde 1967 als viertes Kind eines Schweizers und einer Österreicherin geboren. Als Quereinsteigerin in den Journalismus schrieb sie ab 1995 für die Berner Zeitung, das Solothurner Tagblatt, die Migrationszeitung Mix, das Magazin wir eltern, das Kulturmagazin ERNST und ist Mitglied der Edition ERNST. Obwohl ihr Themenspektrum breit ist, liegt ihr Interesse primär bei Menschen, Geschichten übers Leben und Biografien. Durch die Ausbildung zur Fotografin und die Weiterbildung zur Videoproduzentin ist sie aktuell neben dem Schreiben mit dem bewegten Bild und der Fotografie beschäftigt.