Zusammenwachsen

Es ist natürlich nicht ganz einfach, auf dem Land Wurzeln zu schlagen.

Ich bin erst vor Kurzem aufs Land gezogen, zu meinem Freund. Ein Jahr sind wir zusammen. Aber die Distanz hat es kompliziert gemacht: Er auf dem Dorf, ich in der Stadt. Da kann eine Beziehung nicht so leicht wachsen. Also zog ich zu ihm ins Dorf.

Natürlich muss ich mich erst an das Leben hier gewöhnen. Man kann nicht mal eben einkaufen gehen, man braucht gleich das Auto. Man lernt nicht so schnell Leute kennen. Aber ich bin gern auf dem Land. Felder, Kühe, Gänse, der See. Ich mag die Natur.

Schon in der alten Wohnung hatte ich viele Pflanzen.

Die habe ich mitgenommen. Ich habe das Auto damit beladen und bin mit ihnen zusammen zu meinem Freund gefahren. Für den grossen Gummibaum habe ich den Vordersitz runtergeklappt, der Baum war mein Beifahrer.

Mein Freund hatte auch schon drei Pflanzen. Jetzt stehen sie alle dicht beieinander. Bisher vertragen sie sich. Und wir wachsen auch langsam zusammen. Langsam lerne ich Leute kennen. Mein Freund führt mich ein. Ich übernehme sein Umfeld. Ich schlage Wurzeln.

Wie sie und ihre Pflanze am neuen Ort Wurzeln schlagen, erzählt uns Rahel.

Alexander Estis

Alexander ist Schriftsteller. Geboren 1986 in Moskau in einer jüdischen Künstlerfamilie, kam er 1996 nach Deutschland. Nach dem Studium lehrte er deutsche Sprache und Literatur an mehreren Universitäten. Seit 2016 lebt er in der Schweiz. Insgesamt hat Alexander Estis bislang sieben Bücher veröffentlicht, zuletzt den Prosaband »Fluchten« bei der edition mosaik. Für FAZ, NZZ, SZ, DIE ZEIT und andere Zeitungen schreibt Alexander Estis Kolumnen, Essays und Kommentare; seine Radiobeiträge sind regelmässig im Deutschlandfunk zu hören. Für seine Arbeit wurde er mehrfach ausgezeichnet; derzeit residiert er als Stadtschreiber in Dortmund.