Als ich Darius treffe, trägt er Teufelshörner aus Filz mit Federchen dran, einen Wollmantel in zartem Minzton mit grossem Revers, militärgrüne Hosen mit Leopardenmuster und schwarz-weisse Adiletten, dazu ein Bier in der Hand und ein Funkeln in den Augen.
Es ist elf Uhr vormittags, und wir setzen uns auf eine Bank gegenüber seiner Fast-Wohnung. Alle paar Minuten kommt jemand an uns vorbei und grüsst ihn. Darius kennt man in der Steibi.
Dort, schräg gegenüber, ins hellblaue Haus mit den alten Vorfenstern, wäre er um ein Haar mal eingezogen, erzählt er mir, nachdem er mir grinsend seinen Trödelmarktfund des Tages präsentiert hat: eine kniende Chinesenfigur und eine Matrioschka mit Putingesicht, die mit einer einfachen Handbewegung so zu kombinieren sind, dass nur humorlose Menschen nichts Böses dabei denken.
In den Keller der Fast-Wohnung hatte Darius schon seine Habseligkeiten gezügelt, als der etwas unzuverlässige Vormieter, dessen Mietvertrag Darius übernehmen wollte, die Kündigung erhielt. Also wurde es nichts mit der günstigen, gut gelegenen Wohnung an der Steinberggasse. Stattdessen zog Darius mit seiner damaligen Freundin Andrina in die Breitestrasse am Stadtrand von Winterthur, nahe am Wald, mit einem Blindschleichenbiotop neben dem Haus.
Andrina und Darius, das ist nicht nur ein Paar, das eine Wohnung an der Breitestrasse geteilt hat. Andrina und Darius, das sind zusammen die SteibiChuchi, und die SteibiChuchi, das ist ein Lebensgefühl, zumindest stelle ich mir das anhand von Darius’ Erzählungen so vor. Jeden Freitagabend kochten sie während des Lockdowns zusammen und verkauften ihr regionales vegetarisches Essen auf der Steinberggasse, die eher ein langer Platz als eine Gasse ist. So ist ihr Catering entstanden: mit Liebe zu Bio-Essen und Liebe zueinander. Einer Liebe, die so gross ist, dass Darius das Logo der SteibiChuchi, einen Kochtopf in einem Kreis mit aufsteigendem Dampf, sogar als Tattoo auf der Wade trägt. Dasselbe Motiv ziert Andrinas Fussknöchel.
Aber obwohl Liebe durch den Magen geht, wie alle immer sagen, zerbrach die Liebe von Andrina und Darius nach intensiven gemeinsamen Jahren. Corona-Jahren wohlgemerkt, in denen das stille Waldrandleben zu zweit zum Zeitgeist passte, dem gemäss sich alle, so gut es ging, in ihre kleine Blase retteten. Nach Corona wurde die Welt wieder grösser, Darius’ Abenteuerlust erwachte, Andrina wollte im Kokon bleiben. Als Darius sich dann doch voll und ganz für Andrina entschieden hatte, war es zu spät. Eines Frühlings packte Andrina, während Darius seinen Kater ausschlief, all ihre Habseligkeiten zusammen und verliess das gemeinsame Zuhause von einem Tag auf den anderen. Kein Gespräch. Nur der Wunsch nach Abstand.
Zurück blieben die Verbundenheit durch das gemeinsame Geschäft und eine leere Wohnung, in der sich Darius von Anfang an nicht wirklich wohlgefühlt hatte. Ein Bett, eine Küche und sonst nichts. Alle anderen Möbel hatte Andrina mitgenommen, seine eigenen waren noch an einem früheren Wohnort in der Kirchgasse im Keller eingelagert. Leere. Und Stille.
Für sich allein kocht Darius nicht. Um die Wohnung mit Leben zu füllen, lud er jeden Freitag drei oder vier Freunde zum Znacht ein. Sobald die Freunde wieder gegangen waren, schaute er aus dem Fenster, lauschte den Rehen und Füchsen im nahen Wald und fühlte, wie sich die Einsamkeit wie ein schwerer Mantel über ihn legte. Aus der Not heraus freundete er sich mit ungewöhnlichen Haustieren an. Eine handtellergrosse Schnake und eine handspannengrosse Heuschrecke wurden in den warmen Julitagen seine Begleiter. Die Schnake und die Heuschrecke folgten ihm eine Woche lang von Zimmer zu Zimmer, einfach so. Darius machte ein Kunstprojekt mit Insektenbildern daraus. Die Wohnung blieb leer.
Und war für Darius allein auf Dauer zu teuer. Ein entfernter Bekannter erfuhr über ein paar Ecken, dass Darius eine neue Bleibe suchte, und steckte Andrina beim Essenkaufen seine Nummer zu, Darius solle sich doch bei ihm melden, in seinem Altbauhaus sei etwas frei. Darius sagte sofort zu.
Nun wohnt Darius endlich an der Steinberggasse, wieder da, wo das Leben pulsiert, wo er auf der Strasse Essen verkaufen kann und alle paar Meter jemand vorbeiläuft, den Darius kennt. Die Miete ist günstig. In der Altbauwohnung ist genügend Platz für seine Antikmöbel und seinen handgeschreinerten Hausaltar. Platz für alle, mit denen Darius ein Bier trinken oder kochen möchte. Platz neu auch für Putin und seinen chinesischen Freund.
Darius, 28, teilt mit seiner Ex-Partnerin auch nach dem Auszug den Kochtopf.