Sicher sieben

Ohne sie bin ich etwas verloren, vergesse ich sie zu Hause, fühlt sich der Tag fremd an. Meine Fingerringe. Sie machen mich nicht komplett aus. Das nicht. Aber Ringe gehören zu meinen Fingern, wie Schuhe zu meinen Füssen, sind fast schon Teil meines Körpers. Als ich, einmal an der Bushaltestelle, bemerkt habe, dass ich meine Ringe vergessen habe, das kommt selten vor, kann aber vorkommen, bin ich kurzerhand zurückgeeilt, um sie zu holen.

Es geht mir dabei, ich habe keinen Lieblingsring, nicht um den einen Ring, es geht um das Ensemble, um die Kombination von Ringen. Sieben sind es sicher, manchmal auch bis zu zehn, die ich gleichzeitig trage, silberne Ringe oft, nicht echtes Silber muss es sein, aber silbrig glänzend das schon, oft dicke, auffällige Ringe. Man soll sie sehen.

Diesen hier habe ich von Sofia bekommen.

Dieser hier gefällt mir wegen seiner Maserung.

Und der Ring meiner Oma, der grad zuhause liegt, den mag ich auch sehr. Oma hat ihn von ihren Eltern bekommen, mehr als ein halbes Leben lang getragen und ihn dann schliesslich mir geschenkt, mir, ihrer lieben Kele, wie sie sagt.

Viele der Ringe finde ich auch auf dem Flohmarkt. Wenn ich einen Ring sehe, der mir gefällt, das meistens schon aus der Ferne, wühlt mich das jedes Mal etwas auf. Ich pirsch mich vorsichtig an, vorsichtig steck ich mir so einen Ring, der bald zu meinem Ringe werden könnte, an den Finger. Ich bin dann mega enttäuscht, wenn er mir nicht passt.

Schenkt mir jemand, wie es Sofia getan hat, einen Ring, fühle ich mich gesehen. Da ist ein Mensch, der weiss, die Kele, die mag Ringe, da ist ein Mensch, der sich das gemerkt hat, der für mich, in einen Laden oder an einen Stand gegangen ist, um mir eine Freude zu machen. Und das ist es, was mich berührt, wenn ein Mensch meine Ringe sieht, sieht er mich.

Man soll sie sehen, meine Ringe.

Kele, 19

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.