Sammeln oder Loswerden?

Marianne ist Spezialistin für Sachen. Sie verkauft mit ihren beiden Söhnen regelmässig auf Floh- und Trödelmärkten schöne alte Gegenstände, die sie in ihrem und rund um ihr Bauernhaus lagert. Heute hat sie eine kleine Blechgiesskanne, verzierte Blechblumentöpfe, Kleiderbügel mit Häkelbezug, ein grosses bemoostes Holzstück in einer besonderen Form und einen Weihnachtsengel ohne Gesicht im Angebot, dazu noch Mandelfischbackformen aus Kupfer und Schieferplatten, die sie von einer Baustelle mitnehmen konnte. Das alte verrostete Fahrrad hinter dem Stand ist zwar nicht fahrtüchtig, aber ein hübscher Dekogegenstand, der sich mit ein paar Blumen auf dem Gepäckträger gut in einem Garten machen würde. Marianne mag es, alten Sachen ein neues Leben zu verschaffen. Es sei ihr wichtig, dass Älteres nicht einfach weggeworfen werde und dass auch junge Menschen einen Bezug zu gebrauchten Dingen von früher hätten. So eine Passevite aus Metall sei zum Beispiel sehr praktisch, aber manche Junge wüssten gar nicht mehr, wie mit diesem Küchenhelfer umzugehen sei.

Marianne wohnt mit ihrem Mann in einem Bauernhaus, in dem Ort, in dem sie aufgewachsen ist, umgeben von einem grossen Garten. Sie ist froh, dass sie genügend Platz hat, um schöne Objekte auszustellen. Aber seit einiger Zeit sortiert sie aus, lässt Dinge los. Sie will nicht noch mehr Material ansammeln. Denn Zuhause komme in einem gewissen Alter von innen, meint Marianne.

Das mit dem Aussortieren gelingt ihr eigentlich ganz gut. Wenn da nicht die alten Kleidungsstücke aus Leinen wären, auf die sie manchmal stösst, diese Kleider mit den glänzenden Perlmuttknöpfen und den sorgfältig gemachten Säumen und Stickereien. Die behält sie dann doch lieber für sich, statt sie zu verkaufen.

Zum Abschluss des Flohmarkttages fährt ihr Sohn mit dem zitronengelben VW-Bus der Familie vor, um beim Einladen der übriggebliebenen Ware zu helfen. Das bestickte weisse Sonntagskleid, mit dem Marianne selbst geliebäugelt hat, ist verkauft, aber die Mandelfischformen warten noch auf neue Besitzer.

Marianne, 64, sammelt rund um ihr Zuhause gerne Dinge und weiss dennoch um deren Vergänglichkeit.

Anna Pieger

Geboren 1981 in München, studierte an der Universität Basel Kunstgeschichte und Philosophie. Ihr literarisches Schaffen umfasst Prosa und Lyrik sowie journalistische Beiträge für das Kulturmagazin ERNST. Sie lebt mit ihrer Familie in Basel und ist als Co-Leiterin einer Sekundarschulbibliothek tätig.