Nichts und niemand bleibt

(Selbst Greta Garbo nicht)

Es wär nicht schlimm.

Es wär nicht schlimm, wenn sie mal weg wären.

Wirklich nicht.

Es ist ja nicht so, dass ich die Holzschatulle jeden Tag hervorkramen würde. Ich nehme die Quartettkarten nicht einmal raus, um mit meinem Enkel zu spielen. Also, ich glaube, ich hab’s sogar mal versucht, ich habe meinem zehnjährigen Enkel die Quartett-Sammlung meiner Kindheit gezeigt. Aber die alten Autos haben ihn nicht gross interessiert – wieso auch? Diese alten Karren.

Den «Bitter» gab es damals noch. Das waren, glaub ich, die ersten Fahrzeuge mit Fliessheckcoupé überhaupt. Der Bitter CD hatte den Achtzylinder-V-Motor! Ein totaler Bolide!

Spätestens nach meinem Tod schmeisst die Sammlung jemand weg. Und das ist völlig ok. Ich kann ja selber nicht genau sagen, wieso ich die rund tausend Quartettkarten mit den Abbildungen von Schiffen, Flugzeugen und Autos überhaupt so lange behalten habe. Aber in den Müllsack stopfen, das bring ich nicht übers Herz. Eine gewisse Zärtlichkeit dem Vergangenen gegenüber habe ich halt schon.

Vor allem mit Dominik, dem Nachbarsjungen, ein Jahr älter als ich, habe ich damals gespielt. Wir waren Kinder. Es waren die Siebziger. Und die Quartettkarten – mit einem Gümmeli zusammengeheftet – kamen fast überallhin mit. Wobei ich mich an die Spielorte selber, muss ich sagen, gar nicht mehr so genau im Detail erinnere. Auch weiss ich nicht mehr, ob es dabei mehr ums Kartenanschauen oder ums Gewinnen ging.

Ist einfach schon ewig her.

Aber an das Gefühl, wenn ich mit Karten im Hosensack das Haus verlassen hatte, kann ich mich sehr gut erinnern. Trug ich die Karten auf mir, war ich – naja, es mag etwas doof klingen – aber wenn ich die Karten auf mir trug, fühlte ich mich: frei.

Das Spiel war für mich und meinen Freund wohl ein Eintrittsort in unsere eigene Welt, eine Welt, die nur uns gehörte, die uns verbunden hatte. Mit jeder Karte, die wir ausgespielt hatten, waren wir ein Teil einer grossen Geschichte. Die Auto-Karten waren uns eine Vorlage für die Fantasie. Im Kopfkino fuhren wir all die Autos, die auch Greta Garbo fuhr.

Paul erinnert sich.

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.