Kein Heimwehkind

Kannst du dich daran erinnern, wie du nach unseren Urlauben in Dänemark in deinem Zimmer sassest, du hattest alle Spielsachen ausgekippt?

Ehrlich gesagt, nein. Ihr habt mir davon erzählt, das ja – aber ich selbst weiss das nicht mehr.

Woran kannst du dich erinnern?

Ich mochte die Fahrten nach Dänemark nicht. Ich fand das immer so einen Sprung zwischen diesen zwei Welten, zwischen Zu-Hause-Sein und in Dänemark und an den Strand gehen, im Ferienhaus chillen, mich zurückziehen, ein Softeis essen oder eine Pölser, das fand ich schön. Aber dann Stunden im Auto zu sein, fand ich lange ganz schlimm.

Das Gefühl als Kind, wieder zu Hause zu sein, kannst du dich daran erinnern?

Das ist ganz spannend, denn ich habe das früher nicht so gehabt, dass ich gesagt habe: dass ich mein Zuhause im Urlaub vermisst habe. Ich war nie ein Heimwehkind. Ich habe euch nie angerufen und gesagt, ich muss irgendwo abgeholt werden, oder? Ich erinnere Dänemark gut, wir waren ja oft an den gleichen Orten, ich kannte da alles. Als ich das erste Mal allein nach Dänemark gefahren bin – der erste Urlaub, da war ich ja schon ausgezogen –, fühlte es sich an wie nach Hause zu kommen. Für Corinna war es neu, für mich war es gar keine Ferne.

Wie war das mit dem Zu-Hause-Sein in deinen ersten eigenen Wohnungen?

Zu meiner ersten Wohnung hatte ich einen sehr engen Bezug. Es war mein eigener, geschlossener Rückzugsraum und nicht nur ein einzelnes Zimmer, wie bei euch. Auch wenn sie dunkel war und nebenan dieser seltsame Nachbar und über mir der Gitarrenspieler, der nicht Gitarre spielen konnte. Es gab diesen Ort, wohin ich zurückkonnte, wenn ich auf Achse war, und das war ich viel. Ich habe mich da sehr wohl gefühlt und mich gefreut, wenn ich wieder zu Hause war, in meinem Zuhause. Die Wohnungen danach waren Orte zum Schlafen. Da stand mein Rechner, da stand der Kühlschrank, da stand das grosse Sofa – das war schön, aber nicht mehr. Ich konnte da gut wieder ausziehen, hab mich gefreut, wegzufahren. Wo wir jetzt wohnen, zu zweit, ist es schön zu wohnen, wir kennen das Viertel gut, finden uns gut zurecht, aber es wäre nicht schlimm, die Wohnung aufzugeben und woanders zu wohnen, wo wir ein neues Zuhause finden.

Hängst du an Gegenständen, Möbeln, Geschirr, sowas?

Spontan würde ich sagen: gar nicht. Aber das stimmt vermutlich nicht. Technik ist für mich wichtig, ich bin ja ein bisschen nerdy. Aber ob da nun mein Laptop steht oder ein anderer, das ist nicht entscheidend. Er muss funktionieren. Ich kann auch irgendwo auf einer Matratze auf dem Boden schlafen, bei Freunden. Hauptsache, ich bin bei Leuten, die ich mag, die mich kennen, die ich kenne, ich bin eher menschenbezogen. Und solange ich meine Sachen machen kann, vermisse ich nichts. Ich habe nicht das Bedürfnis, jeden Tag aus derselben Tasse zu trinken, auch wenn ich es mag, morgens aus meiner Lieblingstasse zu trinken. Von daher: Wäre auch spannend, wenn jeden Tag unsere Wohnung eine neue Wohnung wäre.

Ein Vater-Sohn-Gespräch.

Frank Keil

Geboren und aufgewachsen in Hamburg an der Elbe. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er als freier Kulturjournalist und Autor unterwegs. Diverse Texte und Strecken für den ERNST; ausserdem Mitbetreiber der Plattform www.maennerwege.de. Aktuell schreibt er an seinem autofiktionalen Romanprojekt „Ich weiss nichts über meine Familie, suche sie aber trotzdem“, für den er 2022/23 einen Literaturpreis der Stadt Hamburg erhielt. Ausserdem Bahnfahrer, Frühaufsteher, Kleingärtner und Mettbrötchen-Fan.