„Neuropsychologie I.“ steht in grossen, geraden Buchstaben auf dem Bildschirm, als ich vorbeigehe, überall sitzen die Menschen vor ihren Computern, vor ihren Notebooks, vor ihren aufgebockten Tablets. Manche sitzen sehr gerade, sitzen aufrecht, andere haben einen Fuss auf einen Stuhl abgelegt, sie schauen aus dem Fenster, sie schauen in den Raum, sind die anderen auch fleissig?
Früher ging man in ein Café, um Kaffee zu trinken, fällt mir ein, mit Milch und Zucker oder ohne Zucker oder nur schwarz, heute geht man in ein Café, um zu arbeiten, weil immer etwas zu tun ist, das erledigt werden muss, eine fast ausgetrunkene Kaffeetasse steht vor einem, die irgendwann ausgetauscht wird, spätestens, wenn der Rand antrocknet und das Kaffeebraune dunkel geworden ist und einen anschaut.
Eine junge Frau wippt leicht mit dem Oberkörper, sie trägt grosse, schwarze Kopfhörer zu ihrer grossen, runden Brille, sie hört Musik, während sie tippt, vielleicht dass sie etwas schriftlich zusammenfasst, komplizierte Gedanken, die gebändigt werden müssen, die sich wehren, die nicht zueinander passen wollen, während für mich unhörbar ein Schlagzeug den Takt schlägt, eine Stimme dazu etwas von Liebe singt, die so flüchtig ist, nicht festzuhalten sei, das könnte ich nicht, es würde mich ablenken, die Musik, das Zuhören, das Denken, das Aufschreiben.
Ein älterer Mann, ein echter Herr, trotz seiner Turnschuhe, nimmt sich den DER BUND, der auch an diesem Tag auf dem Tresen aufliegt, nimmt die altmodische Zeitung aus Papier mit zu seinem Platz, langsam setzt er sich, er schaut auf den Titel, was wird sein, wenn Donald Trump die Medikamentenpreise in den allertiefsten Keller schickt, geht es der Schweizer Pharma-Branche an den Kragen, geht die Welt bald unter, wer befürchtet was, wo ist Hoffnung, er schlägt die Titelseite um und scheint wieder beruhigt zu sein. Er nimmt einen Schluck Kaffee. Er liest und hält die Kaffeetasse in der Hand. Die Bedienung, die langen Haare noch zusammengebunden, klopft mit zwei kräftigen Schlägen den Kaffeesatz aus dem Kaffeesieb in eine Holzkiste, dann spannt sie das gefüllte Sieb wieder ein, die Kaffeemaschine zischt, der Kaffee sprudelt, es riecht so gut.
Ein Mann klappt plötzlich seinen Laptop zu, springt auf, greift sich seinen Stoffbeutel, er schiebt den Stuhl zurück, er schaut aufs Handy, während er sich den Stoffbeutel über die Schulter wirft, etwas ist zu lesen, ICH MUSS GAR NICHTS, alles ist eine fliessende Bewegung, ein Tanz. Und weg ist er und der nächste kommt, setzt seinen Stoffbeutel mit seiner Druckbuchstaben-Parole für ein besseres Leben – DANN EBEN NICHT – schwungvoll auf dem Boden ab, er schaut aufs Handy, er steckt das Handy weg, hinten in die Hosentasche klemmt er es, rechts, es guckt ein bisschen hervor, keck schaut es in die Welt, er setzt sich, der junge Mann, er zieht den Stuhl im Hinsetzen nach vorn, er klappt den Laptop auf und loggt sich ohne hinzugucken ein, während er nun sitzt, längst hat er begonnen zu tippen.
Wer hat Zeit? Zu wem könnte ich mich setzen? Wer würde reden wollen über das Schöne, das war und das so oft nicht ohne das Schmerzhafte, das Enttäuschende zu bekommen ist, auch wenn man es jedes Mal so anders will?
Ich gehe eine Runde durch die Räume, durch die Gänge, nach draussen, in den Innenhof, ins Helle und langsam Warme, wo ein Trupp Zivilschützer in seinen braun-orangen Arbeitsuniformen langsam erst von links nach rechts und dann von rechts nach links schreitet, während neben dem Brunnen eine Frau ihr Kind in einem Tuch eingebunden vor dem Körper hält, leicht wippt auch sie, federt in den Knien, sie tänzelt, ein Schritt vor, ein Schritt zurück, dass sich das Kind beruhigt, dass alles gut ist und es nicht mehr weinen muss.
Ein junger Mann in einer sehr bunten Jacke, dunkle Zacken ziehen sich über farbige Flecken, hebt an zu erzählen: Koch sei ein toller Beruf, gerade sei er zwar arbeitslos und auf der Arbeitssuche, aber immer könne man aus noch so wenigen Lebensmitteln etwas zaubern, das mache glücklich, das sei so schön, er sagt das strahlend und freundlich, und ich sehe ihn in einer Küche stehen, in einem Zauberer-Kostüm, ein langer, spitzer Hut mit silbernen Sternen übersät sitzt auf seinem Kopf, vor sich hat er Töpfe und Pfannen, die er entschlossen hin- und herschiebt, in denen er rührt, ein Fenster ist halb geöffnet, dass der Dunst abziehen kann, immer könne man etwas kochen, um die Menschen zu beglücken, ob hungrig oder nicht,
mit Fleisch, ohne Fleisch, vegetarisch oder vegan, ganz egal, jeder esse gerne, jeder lasse sich gern bekochen und anschliessend bedienen.
Aber dann kommt eine Frau mit energischen Schritten auf ihn zu, sie hält eine Mappe unter dem Arm, und er steht auf. „Sehr gerne ein andermal mehr“ sagt er noch und „Entschuldigung“ und die beiden gehen von dannen und setzen sich an einen neuen Tisch, sie sitzen sich gegenüber, sie schaut ihn erwartungsvoll an, die Mappe liegt vor ihm, und er legt die Hände in den Schoss, und sie schlägt die Mappe auf und hat nun einen Stift in der Hand, vielleicht so weit, ein erster Eindruck, erste Begegnungen.