Die schwedischen Anzündhilfen

Unser Nachbar brät gerne Würste in seinem Hinterhof. Deshalb habe ich ihm aus meinem Schwedenurlaub Anzündhilfen mitgebracht. Die Schachtel im Retro-Design zeigt einen Jungen, der so aufrecht wie ein Streichholz der orangeroten Sonne entgegenschreitet. Die schwedischen Anzündhilfen sind aber nicht nur nett anzuschauen, sie sind auch besser als Schweizer Anzündhilfen. Bei uns sind die Anzündhilfen für das Grill- oder Kaminfeuer zwar auch aus Holzfasern und Wachs gemacht, doch die schwedischen Anzündhilfen haben einen Schwefelkopf wie Zündhölzchen. Man braucht, um sie anzuzünden, kein Feuerzeug oder andere Hilfsmittel. Man entzündet sie, indem man sie über die Reibfläche an der Packung reisst. Der Vorteil: Man kann die brennenden Anzündhilfen dann im Brennholzhaufen genau dort platzieren, wo man sie haben will, während wir uns in der Schweiz die Finger immer am zu heiss gewordenen Metallkopf des Feuerzeugs verbrennen.

Ich glaube, Martin hat sich über das Mitbringsel gefreut. Ich hätte ihm letztes Jahr auch gerne etwas aus Süditalien mitgebracht. Dort haben wir einen Geschirrschrank gesehen, der ein eingebautes Abtropfgestell hat. Die Italiener trocknen nicht ab, sie stellen die nassen Teller in das Gestell und lassen die heisse Luft die Arbeit machen. Vielleicht hätte sich Martin, wenn ichs mir jetzt recht überlege, sogar ein bisschen mehr über diesen Geschirrschrank gefreut als über die Anzündhilfen. So hasst er, denke ich, den Abwasch noch mehr, als er das Grillieren liebt.

In drei Monaten ziehen meine Frau, die Kinder und ich ein paar Strassen weiter. Ich freue mich sehr auf die grössere Wohnung. Die Kinder werden ein eigenes Zimmer haben. Und im Sommer wird es dort weniger heiss sein als in unserer Dachwohnung. Meine neuen Nachbarn dort habe ich zwar schon von weitem gesehen, aber noch habe ich nicht mit ihnen sprechen können. Ich hoffe sehr, dass ich am neuen Ort auch wieder jemanden finde, mit dem ich an den Feierabenden über Anzündhilfen und Geschirrschränke sprechen kann.

Martin und Reto: eine Nachbarschaftsgeschichte

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.