Die Mechanikerin

Komme ich nach all den Monaten des Reisens wieder nach Hause, mache ich mir als Erstes einen Kaffee. Ich nehme die Packung – die Bohnen rieche ich durch das Plastikventil schon –, schneide das plastifizierte Alu auf und schütte die Bohnen in die Mühle. Schliesslich lasse ich den Kaffee, nachdem ich die Bohnen von Hand gemahlen habe, vier Minuten in meiner Aeropress ziehen. Dann presse ich während weiterer vier Minuten den Kaffee ganz langsam, Stück für Stück, mit dem Presskolben durch den Papierfilter. Es ist ein Ritual, das längst zu mir gehört. Mit dem frisch gebrühten Kaffee trete ich schliesslich auf den Balkon hinaus. Das Meer in Kapstadt, ich sehe es nicht, rieche es aber, schmecke es auf der Zunge, habe ich all die Monate über vermisst, den Wind sowieso. Nie könnte ich irgendwo länger leben, wo es keinen Wind gibt.

Ich arbeite derzeit mit Isla Short. Sie ist eine professionelle Mountainbikerin. Sie ist aus Schottland, und ich bin ihre Mechanikerin. Letzte Woche waren wir in der Lenzerheide an einem Profirennen, nächste Woche geht’s nach Grenchen, dann wieder – zum Saisonschluss hin – zurück nach Schottland. Ich bin sieben, acht Monate im Jahr mit den Profi-Athletinnen und -Athleten in der Welt unterwegs. Ich mag meinen Job, mag Bikes und alle ihre Teile, wenn auch, das ist klar, nicht alle gleichermassen. Am liebsten mag ich an einem Fahrrad die Federung oder den Hinterbaudämpfer. Die Reifen interessieren mich weniger; sie auszutauschen ist etwas langweilig, eine schmutzige Sache auch. Aber schliesslich arbeite ich als Mechanikerin mit allen Teilen gerne. Auch finde ich: Arbeit ist, wenn Hände dreckig werden.

Ich bin in Südafrika auf einem Bauernhof gross geworden und habe schon sehr früh damit begonnen, Bikes zu reparieren. Mein Vater war ein grosser Mountainbikefahrer, und ich habe schon als Mädchen an seinen Bikes herumgeschraubt. Auch Rennen bin ich gefahren. Mein erstes richtiges Rennbike – ich bekam es von Dad geschenkt und mochte die Farbe nicht – war ein 27½-Zoll-Mountainbike, SCOTT, zwei mal zehn Gänge. Mein Bruder und ich hatten uns damals schon ein richtiges Business aufgebaut, um uns die Bikes und deren Ersatzteile zu finanzieren. Meine Familie produzierte auf der Farm Wassermelonen, und jene Wassermelonen eben, die nicht für den Verkauf gedacht waren, mussten wir für die lokale Bevölkerung aussortieren und auf einen Lastwagen laden. So haben wir uns Taschengeld verdient, das wir sogleich wieder in Fischereizubehör reinvestierten. Wir kauften jegliche Art von Fischerzeugs zusammen, um dieses wiederum (mit Marge natürlich) in unserem kleinen Fischershop weiterzuverkaufen.

Hektisch mag er manchmal sein, mein Job, aber das stört mich nicht. Denn nicht nur zwischen den Rennen bringe ich Islas Mountainbikes wieder in Schuss, sondern auch währenddessen – in der Tech-Zone, wo alles schnell gehen, jede Entscheidung, jeder Handgriff sitzen muss. Manchmal ist mein Job einsam. Nicht so sehr während eines Rennens, aber dazwischen, wenn ich alleine mit dem Material durchs Land fahre. Ich sitze dann stundenlang alleine im Auto, höre meine Chill-Mix-Liste auf Spotify, Podcasts, Robbie Williams (den mag ich besonders) oder Krimi-Hörbücher. In meinem zweiten Leben werde ich Kriminalpsychologin oder Profilerin. Ich liebe es, mich in die Köpfe anderer hineinzuversetzen. Auf jeden Fall müsste ich in diesem Job, so stelle ich es mir vor, weniger reisen, weniger Koffer ein-, aus- und umpacken. Ich freue mich auf Kapstadt. Ich freue mich auf den November, ich freue mich auf jenen Tag, an dem ich wieder die Kaffeepackung mit dem Plastikventil hervorkrame.

Anesophie

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.