Der 13. März 2022

Die Nacht zuvor schlief ich kaum.
Ich war so nervös.
Am Morgen stand ich auf, etwas fahrig.
Ich machte mich schön und zog mein Sonntagskleid an, einen selbstgenähten Rock.
Es war ein Tag wie heute. Nicht sehr heiss, nicht sehr kalt, aber schön und klar.
Der Termin war, ich erinnere mich noch gut, um 14 Uhr.
Mit dem Zehner fuhr ich über den Hirschengraben zum Standesamt. Den Zettel mit der Einladung hielt ich die ganze Fahrt über in der Hand.
Am Hirschengraben stieg Simon zu, ein Freund, den ich noch von der Schule her kannte. Simon war immer schon, die ganze Schulzeit über, der Einzige gewesen, der zu mir stand. Er erklärte sich bereit, mich an jenem Tag zu begleiten. Ich war so nervös. Und froh, nicht allein zu sein.
Beim Standesamt angekommen, brauchten wir keine Nümmerchen zu ziehen, wie die bei der Einwohnerkontrolle. Wir mussten nur warten, bis uns die Frau abholte.
Ich sehe noch genau vor mir, wie die Beamtin, schwarze Hosen, blauweissgestreifte Bluse, auf uns zuschritt, in raschen Schritten. Beim Gehen lächelte sie uns schon von Weitem entgegen, bei uns angekommen, reichte sie uns beiden die Hand.
Simon durfte mitkommen. Gar kein Problem.
Im Zimmer erklärte sie mir dann alles, keine Ahnung mehr, was sie uns alles erzählte. So nervös wie ich war, konnte ich ihr wohl kaum zuhören.
Dann aber, und daran erinnere ich mich noch sehr gut, schob sie mir dieses dicke weisse Blatt Papier zu, wo ich unterschreiben durfte. An der Blattdicke erkannte ich, dass es eine Urkunde war, ein offizielles Dokument.
Und dann brauchte ich nur noch zu unterschreiben, und ich war: Jannine.
Ich war eine Frau.
Mit der Unterschrift konnte ich einen dicken Strich unter meine Vergangenheit ziehen. Die Namensänderung und die Änderung des Geschlechtereintrages waren nun rechtskräftig.
Neben meiner Hormontherapie und den geschlechtsangleichenden Operationen war das ein wichtiger Schritt für mich.
Die Standesbeamtin fragte mich noch, ob ich auch ein Dokument für mich haben wollte, um es mit nachhause zu nehmen. Natürlich wollte ich, auch wenn es dreissig Franken extra kostete.
Ich ging an den Schalter, um die Gebühr zu zahlen.
Und dann verliess ich das Haus – als Jannine.

Jannä, 35

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.