Der 38jährige Erzähler versucht sich an seine zwei Jahre jüngere Schwester zu erinnern.
Ich weiss nur noch wenig, wirklich. Ich, ich kann mich nur schlecht erinnern, wie das damals war. Meine jüngere Schwester und ich lebten irgendwie in getrennten Welten. Wir wuchsen schon zusammen auf, das schon, doch, doch. Es gab sicher oft Momente des Zusammenseins, die muss es gegeben haben. Aber eben: Ich kann mich einfach nicht mehr so gut erinnern. Ich meine, nicht dass ich meine Schwester nicht gerngehabt hätte. Eigentlich liebe ich sie schon. Ich weiss noch, wie wir mal zusammen gekuschelt haben auf dem Küchenboden. (Von diesem Moment gibt es sogar ein Foto.) Doch alles in allem eben verlebten wir unsere Kindheit mehr nebeneinander als miteinander. Sie dort, ich da. Ich war zwei Jahre älter. Das ist nicht nichts, zwei Jahre, als Kind meine ich. Mit Bettina, Irene und, – ähm, wie hiess sie noch? – Denise spielte sie verstecken und wir – die Grossen – spielten «Räuber und Poli». Jeder hatte sein Feld. Mein Vater liebte meine Schwester mehr als mich. Ich glaube, auch meine Mutter liebte meine Schwester mehr. Meine Schwester war hochbegabt, hatte zwei Schulklasse übersprungen. Als ich die grossen Buchstaben schreiben konnte, konnte sie sie bald auch. Ich machte mich dann an die kleinen Buchstaben. Das kleine «K» verstand ich lange nicht. Zwei Jahre jünger war sie, meine Schwester. Jeder hatte sein Feld. Aber eben: Ich weiss nur noch wenig, wirklich. Ich, ich kann mir nur schlecht erinnern, wie das damals war – mit meiner hochbegabten Schwester und mir.