Er steht in unserer Dachwohnung, unter dem Fenster, daneben eine Vintage-Leselampe, ein Büchergestell, Räucherstäbchen und Kerzen. Es ist keine Fälschung. Es ist ein echter Corbusier, original, aus dem Jahr 1988, schwarzes Leder, verchromtes Stahlgestänge, glänzend und kühl, ein Lesesessel, so klar wie ein scharfer Gedanke.
Wir haben ihn von Tims Eltern zu unserem Einzug bekommen. Es ist unsere erste gemeinsame Wohnung. Vorher sind wir noch, man weiss ja nie, zusammen in Südamerika gereist, Kolumbien, Panama, um zu sehen, ob es geht, ob wir es zusammen können, über 24 Stunden hinweg, den ganzen Tag lang. Und weil eben alles gut ging, beschlossen wir zusammenzuziehen, in eine Altstadtwohnung. Für Tim war es der Auszug von zuhause.
Der Umzug ging erstaunlich stressfrei von statten. Tim brachte die Chaiselongue von seinen Eltern mit. Dort hatte er, immer mit Kleidern überdeckt und etwas vergessen, in einer Ecke im Büro gestanden. War ich bei meinen Schwiegereltern, räumte ich ihn oft frei und breitete mich darauf aus. Der Sessel gefiel mir.
Heute lege ich mich, nicht jeden Tag, aber sicher fünf Tage die Woche, auf den geschwungenen Sessel, lese oder schaue aus dem Fenster, betrachte die Türme der Altstadtkirche, die ich von da aus gut sehen kann. Ich kenne die Kirche jeden Tag etwas besser, das blaue Zifferblatt, die goldenen Details, die drachenartigen Wasserspeier. Einer der Türme wirkt neuer als der andere, scheint kürzlich renoviert worden zu sein.
Ich würde mich nicht unbedingt als spirituell bezeichnen, noch nicht, aber wenn mich der Sessel zum Schweben einlädt, zum Nachdenken und Träumen, komme ich manchmal in so einen Flow-Zustand. Es wird mir dann bewusst, dass wir nicht einfach nur da sind, dass nichts einfach nur Zufall ist, dass alles seinen Sinn hat.
Erste gemeinsame Wohnung und wie alles beginnt: Lena erzählt.