Könnte passen

Der Mann da, der sich grad auf die Bank setzt; ja, vielleicht der …
Weil: Keine Kopfhörer auf den Ohren.
Auch kein Handy in der Hand, in das er spricht oder auf das er schaut und auf dem er hin und her wischt, mit kurzen, schnellen Bewegungen.
Die meisten: Kopfhörer oder Handy oder beides.
Allein der Blick, wenn sie sich so halb den Kopfhörer runterreissen und einen dann anschauen: Wie … was … eine Geschichte erzählen? Sie?
Aber der sitzt einfach da, die Beine übereinandergeschlagen, kurze Hosen, Turnschuhe, wirkt irgendwie entspannt. Nicht mehr so viele Haare, aber noch keine Glatze.
Mitte, Ende 40, würde ich sagen, da hat man schon einiges erlebt. Im Leben.
Mit Männern ist es ja oft schwierig.
Aber er wirkt sympathisch, zum Ansprechen geeignet. Es könnte passen.

Aufnahmegerät geladen? Flyer bereit? Und los …
Oh! Er rudert mit den Armen. Richtig heftig. Ah – vielleicht wegen der Frau, die da kommt?
Jetzt rennt sie auf ihn zu, und er steht auf, er geht auf sie zu, er nimmt sie aber so was von ungestüm in seine Arme, und sie drücken sich fest, und jetzt küssen sie sich, und sie gehen eng umschlungen von dannen und lassen bestimmt erst in ein paar Stunden wieder voneinander.

Wie gut, dass ich ihn nicht gestört habe.

Frank Keil

Geboren und aufgewachsen in Hamburg an der Elbe. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er als freier Kulturjournalist und Autor unterwegs. Diverse Texte und Strecken für den ERNST; ausserdem Mitbetreiber der Plattform www.maennerwege.de. Aktuell schreibt er an seinem autofiktionalen Romanprojekt „Ich weiss nichts über meine Familie, suche sie aber trotzdem“, für den er 2022/23 einen Literaturpreis der Stadt Hamburg erhielt. Ausserdem Bahnfahrer, Frühaufsteher, Kleingärtner und Mettbrötchen-Fan.