Besuch II

Ich sehe Sophie mit ihrem knallrot gefärbten Haar und mich in meinem luftig-grünen Kleid im Parkcafé sitzen. Wir leuchten wie zwei besonders bunte Farbkleckse in einem Gemälde von Cézanne.

Ich sehe den kauzig wirkenden Mann am Nebentisch, den ich «Professor» nenne und den Sophie mit einem Lächeln zum «Buschauffeur» macht.

Ich sehe die vielen Wildblumen blühen, sehe den Weg, den der Gärtner für uns und die anderen Gäste im hohen Gras freigemäht hat.

Es ist Ende April oder Anfang Mai, Zeit spielt für uns längst keine so grosse Rolle mehr. Sophie hat inzwischen zwei Klinikaufenthalte und einen Aufenthalt in einem Reha-Zentrum hinter sich. Eine Anstalt war schlimm, in den anderen waren sie nett. Und während ihres letzten Aufenthaltes hatte Sophie gar eine Freundin gefunden. Manchmal lacht sie jetzt wieder. Sie ist wieder etwas leichter. Sophie hat so ein schönes, hintergründiges Lächeln und es stimmt mich froh, es ab und an wieder zu sehen.

Ich sehe die Bedienung des Parkcafés wieder vor meinem inneren Auge, sehe, wie sie erst kühl und distanziert wirkt, wie sie sich dann aber öffnet. Als ich ihr Trinkgeld gebe und mit ihr zu sprechen beginne, scherzt sie mit uns. Schliesslich verabschiedet sie uns herzlich. Sophie und ich nehmen denselben Weg durch den Park wie damals. Aber nichts ist mehr wie damals. Es ist Frühling geworden, alles blüht. Am Fusse des Hügels brummt die Stadt, Sophie erzählt von Beruf und Zukunft. Und ich bin froh. Ich bin einfach nur froh, sie Pläne schmieden zu hören. Hatten wir einander während unseres letzten Besuchs im Park, zu gross war die Trauer, kaum in die Augen gesehen, blicken wir uns jetzt oft an. Ich betrachte meine Tochter – und merke, wie ich sie bewundere. Sie hat es geschafft, da wieder rauszukommen.

Wieder am Brunnen mit den zwei Nackten angekommen, stört mich dieser doofe Hut noch immer. Ich frage mich kurz, wieso alles so kommen musste. Sophie hatte im Spital gearbeitet und sich dort angesteckt. Dabei hatte ihr ihr Beruf doch so viel Freude bereitet. Ja, ich frage mich kurz, wieso ausgerechnet Sophie. Doch diese Gedanken, die nichts bringen, verfliegen rasch. Ich bin einfach nur froh, dass wir gute Ärzte und Psychologinnen, Spitex-Fachfrauen und Psychiater gefunden haben, Menschen, die Sophie betreuen und ihr hoffentlich helfen können. Welchen beruflichen Weg sie einschlägt, ist für mich längst zweitrangig geworden. Was wichtiger für mich ist: Wenn es sein muss, kann sie kämpfen.

Und ich sehe uns wieder am Brunnenrand sitzen.

Ich sehe uns die Schuhe ausziehen und unsere nackten Füsse ins Wasser tauchen.

Ich schaue meine Tochter an.

Und sehe, wie sie lächelt.

Hanna erzählt im «Cappuccino» von zwei ganz besonderen Parkmomenten.

Adrian Soller

Autor, geboren 1981 in der Schweiz, studierte am Medienausbildungszentrum (MAZ) und an der Universität Hamburg. Er publiziert in Magazinen und Wochenzeitungen, schreibt vor allem Portraits, Reportagen und Kurzgeschichten. Seine Reisereportagen wurden ausgezeichnet. Zwischen 2017 und 2022 war er Geschäftsführer und Redaktionsleiter des Kulturmagazins ERNST. Neben dem Schreiben und der Dramaturgie befasst sich Adrian Soller auch mit Improvisationstheater.