«Aber nun ist es okay»

Das Haus, in dem wir vorher gewohnt haben, ist jetzt renoviert worden. Meine Mutter will sich immer mal anschauen, wie es geworden ist, aber ich will das nicht sehen. Es war schwierig, als wir da noch wohnten und immer neue Leute kamen, sich unser Haus anzuschauen, und ich merkte: Ich verliere mein Zuhause, ich wohne dann nicht mehr da. Später habe ich gemerkt, dass gar nicht das Haus so wichtig war, sondern dass ich meine Plätze verloren habe, das war viel entscheidender. Plötzlich waren diese Orte weg. Der Bach, der Park und der Wald.

Aber nun ist es okay, dass sie in Winterthur lebt. Die Leute lernen sie neu kennen, es liegt eine Chance in der Luft. Sie hat sich eingelebt, die Mutter ruft durchs Haus, gleich werden sie zusammen essen, mega-cool ist das. Und sie werden über das sprechen, was ihr wichtig ist, was ihr am Herzen liegt, beim Essen oder danach, die leeren Teller hören zu.

Heimat will Zeit, findet die 15-jährige Alina.

Frank Keil

Geboren und aufgewachsen in Hamburg an der Elbe. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er als freier Kulturjournalist und Autor unterwegs. Diverse Texte und Strecken für den ERNST; ausserdem Mitbetreiber der Plattform www.maennerwege.de. Aktuell schreibt er an seinem autofiktionalen Romanprojekt „Ich weiss nichts über meine Familie, suche sie aber trotzdem“, für den er 2022/23 einen Literaturpreis der Stadt Hamburg erhielt. Ausserdem Bahnfahrer, Frühaufsteher, Kleingärtner und Mettbrötchen-Fan.