So sein, wie man will

Die Schule, ich mag sie nicht. Die Lehrer, das ist immer so ein Runtermachen. Von daher ist für mich Heimkommen, wenn ich nach der Schule bei uns zu Hause die Haustür aufsperre, wenn ich hineingehe und ich die Tür hinter mir wieder schliesse. In dem Moment fällt eine grosse Last von mir ab. Es ist wie: Eben bin ich noch in der Kälte gewesen, und nun komme ich in einen warmen Raum und kann wieder durchatmen. Bei mir zu Hause muss ich niemandem etwas beweisen. Und dass es wieder so wird, darauf freue ich mich, wenn ich vor unserer Tür stehe.

In der Schule sind diese vielen Leute. Überall sind die. Was kann sie tun, was sollte sie tun, was kann sie sagen, was besser nicht? Sie hat viel durchgemacht, sie ist auch gemobbt worden. Und nun, zu Hause, hinter sich die geschlossene Tür, die Welt ist draussen und bleibt es, ist sie, wo sie ist, und ist sie, wie sie ist. Und sie geniesst das schöne Alleinsein. Sie sagt: Es gibt Leute, die nehmen einem die Energie weg. Und dass man oft erst hinterher merkt, dass etwas nicht gut war.

Ich lese viel und schreibe auch an einem Buch, es soll ein Roman werden, auch um den Leuten zu helfen, die Ähnliches durchgemacht haben wie ich. Es geht um ein Mädchen, das allein in die Stadt zieht, es ist von seiner Familie weg und sucht nun Anschluss. Neulich bin ich in die Mensa gegangen, denn eine Szene soll in der Mensa spielen, und ich habe genau aufgeschrieben, was in dieser Mensa passiert und auch – wie es mir geht, wie ich in der Mensa sitze, wie ich mich in dieser Mensa fühle. Das habe ich exakt notiert. Ich habe auch eine Kindergeschichte geschrieben, darüber, dass es nicht schlimm ist, sich Hilfe zu holen.

Ich wohne noch nicht lange in Winterthur, vorher haben wir auf dem Dorf gewohnt, wo jeder jeden kennt. Wo es auch nicht so viele Cafés gibt, und nicht so ein Café wie dieses hier, dieses Café hier ist mein Safe Place. Ich kann hier sitzen, niemand stört mich. Eigentlich sollte man so sein, wie man sein will. Dann ist man zu Hause.

Der Ort, wo es wieder besser wird, ist für die 15-jährige Alina: ihr Zuhause.  

Frank Keil

Geboren und aufgewachsen in Hamburg an der Elbe. Seit Mitte der 1990er-Jahre ist er als freier Kulturjournalist und Autor unterwegs. Diverse Texte und Strecken für den ERNST; ausserdem Mitbetreiber der Plattform www.maennerwege.de. Aktuell schreibt er an seinem autofiktionalen Romanprojekt „Ich weiss nichts über meine Familie, suche sie aber trotzdem“, für den er 2022/23 einen Literaturpreis der Stadt Hamburg erhielt. Ausserdem Bahnfahrer, Frühaufsteher, Kleingärtner und Mettbrötchen-Fan.