Weil ich ausgezogen bin

Bevor ich in diese Wohnung zog, lebte ich in einem Wohnwagen auf einem Campingplatz in Oberwinterthur. So bin ich überhaupt hier gelandet. Ich mag das Leben in Wohnwagen, es ist, als hätte man ein kleines Hüsli.

Laura: «Ich wohne mit einer Kollegin zusammen in Zürich. Jetzt lösen wir die Wohnung auf. Da ist so vieles, was zu erledigen ist: Termine, Telefone, mega viele Kosten. Jede Woche kommen Leute die Wohnung besichtigen. Und Luca und ich sind dran, unsere neue Wohnung zu renovieren.»

Luca: «Die Wohnung gehört meiner Mutter. Mein Bruder lebte elf Jahre dort, jetzt können wir sie übernehmen. Meine Mutter ist froh, dass sie in der Familie bleibt.»

Laura: «Es ist total spannend. Auf einmal schlagen wir uns mit so Erwachsenenthemen rum, unterhalten uns über Dinge, an die wir vorher nicht im Entferntesten dachten. Wir reden beispielsweise über die Qualität von Böden …»

Luca: «… über Wandfarben, einen neuen Staubsauger, wo wir Dekos platzieren, Möbel hinstellen. Wir machen bereits Witze darüber, dass wir langsam alt werden. Aber es ist überhaupt nicht langweilig. Es macht mega Spass.»

Laura: «Ich bin mit siebzehn ausgezogen, um in Zürich Tanz zu studieren. Aufgewachsen bin ich in Liechtenstein. Ich hatte total Heimweh. Freitagabend nahm ich den ersten Zug nach Hause, sonntagnachts den letzten nach Zürich. Ich wollte einfach daheim sein. Ich war zu jung und nicht parat für ein Leben ohne Mami.»

Luca: «Heute freue ich mich sehr, auf meinen eigenen Beinen zu stehen und Hotel Mama zu verlassen. Ich wurde schon verwöhnt. Wir werden aber nur zehn Minuten von ihr entfernt wohnen, daher kann ich sie oft besuchen. Ich freue mich auch schon auf diese neue Phase mit meiner Mutter. Unsere Beziehung wird sich sicher verändern. Ich denke, sie wird persönlicher, bewusster.»

Laura: «Genau so ist es bei mir auch. Abstand schafft auch Nähe. Seit ich Luca kenne, gehe ich aber nicht mehr jedes Wochenende nach Hause, sondern nur noch einmal im Monat. Meine Mama sagte immer: ‹Ich freue mich, dass es dir gutgeht. Und du weisst, dass du nicht meinetwegen heimkommen musst. Schau einfach auf dich.› Sie macht mir null Druck. Aber als Kind ist das schwierig. Ich habe oft ein schlechtes Gewissen ihr gegenüber.»

Luca: «Eigentlich hätte ich schon vor einem Jahr ausziehen wollen, aber da ging es meiner Mama noch nicht so gut. Sie hätte mich sicher nicht zurückgehalten, für sie war  es okay. Für mich war es aber total schwierig, ich hätte sie nicht zurücklassen können. Nun ist sie aber an einem ganz anderen Punkt im Leben, sie ist aufgeblüht und hat einen wunderbaren Partner gefunden. Darum bin ich jetzt auch frei genug und kann mit einem guten Gefühl gehen.»

Laura: «Es ist kein Gefühl der Verpflichtung. Ich habe meine Mama einfach so gerne. Sie war immer für mich da. Wenn man dann erwachsen ist, will man das auch zurückgeben und für sie da sein. Mein Vater spielte in meinem Kinderleben keine grosse Rolle.»

Luca: «Mein Papa ist leider verstorben, als ich ein Baby war. Papa hat einen Riesenplatz in meinem Herzen und meinem Leben, auch wenn er nicht bei mir sein kann. Die ganze Verantwortung für uns hatte Mama. Darum ist wohl die Bindung so nah und stark.»

Laura: «Der Aufbruch jetzt zusammen mit Luca fühlt sich super an. Je älter ich werde, desto mehr sehne ich mich nach einem festen Ort, wo ich hingehöre. Ich habe keinen Bock mehr auf dieses Nomadenleben zwischen Zürich, Liechtenstein und Winterthur. Ich freue mich auf einen Geschirrspüler, den ich in meiner Wohnung nicht hatte. Darauf, dass die Waschmaschine nicht mehr im Keller drei Stöcke weiter unten steht, sondern in unserer Wohnung. Und dass ich sie nicht mit anderen Leuten teilen muss.»

Luca: «Das Schöne am Erwachsenwerden ist doch, dass man seinen eigenen Weg gehen, seine eigenen Entscheidungen treffen kann. Wenn man in der Primarschule ist, sagen alle: ‹In der Oberstufe fängt dann das Erwachsenwerden an.› Dann heisst es: ‹In der Lehre musst du dann erwachsen werden.› Bist du in der Lehre, heisst es: ‹Wenn du fertig bist, fängt das echte Erwachsenenleben an.› Es klingt immer wie eine Drohung. Dabei ist es doch total lässig.

Laura: «Und trotzdem sind Luca und ich noch immer die gleichen Kindsköpfe wie vor einem halben Jahr.»

Obwohl ihre Mütter ihnen keine Vorwürfe machen und sie bei diesem Schritt unterstützen, fühlen sie sich ihnen gegenüber doch manchmal irgendwie schuldig. Luca und Laura, 23 und 20 Jahre alt, sprechen über ihren Auszug aus dem Elternhaus.

Anita Zulauf

Anita wurde 1967 als viertes Kind eines Schweizers und einer Österreicherin geboren. Als Quereinsteigerin in den Journalismus schrieb sie ab 1995 für die Berner Zeitung, das Solothurner Tagblatt, die Migrationszeitung Mix, das Magazin wir eltern, das Kulturmagazin ERNST und ist Mitglied der Edition ERNST. Obwohl ihr Themenspektrum breit ist, liegt ihr Interesse primär bei Menschen, Geschichten übers Leben und Biografien. Durch die Ausbildung zur Fotografin und die Weiterbildung zur Videoproduzentin ist sie aktuell neben dem Schreiben mit dem bewegten Bild und der Fotografie beschäftigt.